Katastrophe ohne Ereignis

09.07.2024 von annasimon

Der erste richtig schöne, heisse Tag. Nach dem ganzen Regen ist endlich die Zeit gekommen, das Gras zu schneiden. Wir beobachten Ameisen, deren von der Mähmaschine zerschnittene Haufen offen liegen, die Ameiseneier der Sonne ausgesetzt. Mit geeinten Kräften transportieren sie die Eier zurück in die Ameisenhaufen und unter Boden. Woher wissen die alle was zu tun ist? Die Zeit drängt, die Sonne trocknet die Eier aus. Im Wald kriecht eine grosse Weinbergschnecke ihrem - für uns unbekannten - Ziel entgegen. So schnell wie möglich und so langsam wie nötig. Ihr Haus hat sie immer dabei.
Vor ein paar Tagen beobachteten wir am grossen See das Treiben der Menschen. Einige, in rote T-Shirts gekleidet, bauen eine grosse Tribüne auf. Andere stehen nur da und schauen auf das Wasser, scheinen zu warten. Worauf?
“Eva Horn schreibt, dass unsere gegenwärtige Katastrophenahnung letztlich höchst diffus seien. Ihre Drohung beruhe auf dem so langsamen wie unheimlichen Zusammenbrechen hyperkomplexer Systeme, auf kompliziert miteinander verwobenen Desastern. Die Kulturwissenschaftlerin bringt unsere gegenwärtige Vorstellung von der Zukunft mit dem Begriff einer “Katastrophe ohne Ereignis” auf den Punkt.” (aus Daniel Schreiber: Die Zeit der Verluste)
Diese Ahnung einer unmerklich bereits stattfindenden Katastrophe empfinden wir hier, umgeben vom Summen der Bienen, verstärkt. Das akribische Beobachten der Prozesse führt uns die Fragilität und Komplexität der Systeme in der Natur vor Augen und verstärkt unser Unbehagen angesichts der Gleichzeitigkeit der immelhausischen Idylle und einer Welt die sich in eine sehr ungewisse Zukunft zu bewegen scheint.
Bald ist Mittag. Es gibt Kartoffelgratin und frischen Salat aus dem Garten.

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